Zur Geschichte und Tradition der Tuchmacher in Göttingen
In Göttingen hat sich das Bild der Stadt im 19. Jahrhundert besonders stark verändert: die Bebauung außerhalb des Walles nahm stetig zu, beginnend mit der Sternwarte für Carl Friedrich Gauß und Fabrikanlagen westlich und nordwestlich vor der Stadt. Der Wall wurde an zwei Stellen durchbrochen, um das davor liegende Gelände bebauen zu können; Theater, Königliches Gymnasium (heute: Max-Planck-Gymnasium), und schließlich das Ostviertel erweiterten den Stadtbereich.
Der Hainberg wurde unter Oberbürgermeister Georg Merkel systematisch aufgeforstet und an die Stelle der offenen Weideflächen trat allmählich der Göttinger Wald. Das Bürgertum nahm die neuen Naherholungsmöglichkeiten, die auch Ausblicke auf die Stadt „von oben“ boten, dankbar an.
Der im Jahre 1876 auf Initiative der Bürgerschaft unter tätiger Mithilfe des Oberbürger-meisters gegründete Verschönerungsverein machte die Erschließung des neu bewaldeten Hainbergs zu seiner Sache: Er sorgte für die Anpflanzung bestimmter Bäume und Büsche, die Anlegung und Pflege von Spazierwegen, das Aufstellen von Ruhebänken, die Errichtung von Schutzhütten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Verein bemüht, die Attraktivität für Wanderer durch Einfassung und Gestaltung von Wasserläufen und Quellen zu erhöhen und auf diese Weise kleine Oasen der Erholung zu schaffen. Die jeweilige Bezeichnung wurde der örtlichen Topographie, der Anmutung des Landschaftsbildes und den lokalen Traditionen entlehnt. So entstanden der Schäferbrunnen, die Reinsrinne, das Lichte Meer, der Eselstieg und auch der Tuchmacherborn.
Mit der Namenswahl Tuchmacherborn sollte die Erinnerung an das über viele Jahrhunderte hin wichtigste Gewerbe der Stadt wachgehalten werden – ein Wirtschaftszweig, der in seiner klassischen Handwerksstruktur im Laufe des 19. Jahrhunderts der industriellen Transformation mit ihrer Mechanisierung und dem Wandel des Berufsbildes vom Handwerker zum Fabrikarbeiter zum Opfer gefallen war.
Die Pflege der vor mehr als einhundert Jahren in der Umgebung Göttingens geschaffenen „Oasen der Ruhe und Erholung“ versteht der Verschönerungsverein noch heute als sein Anliegen und seine Aufgabe.
Deshalb soll hier und heute ein kleiner Rückblick auf das Göttinger Tuchmachergewerbe geboten werden, dessen historische Bedeutung der Verschönerungsverein mit der Namenwahl „Tuchmacherborn“ in der Erinnerung und im Bewusstsein der Göttinger Bevölkerung wachhalten wollte.
Göttingen hat sich von dörflichen Anfängen bis in das frühe 14. Jahrhundert zur Stadt im Rechtssinne entwickelt. Die klassische Definition von Stadt lautet: Markt, Mauer und Stadtrecht. Eine Stadt ist also ein umgrenzter Sonderbereich, innerhalb der Mauern gilt das Stadtrecht, außerhalb das Landrecht. Zentral ist insofern zunächst der Unterschied zwischen Stadtrecht und Landrecht, diese Differenz ist allen Städten gemein, ebenso die Arbeitsteiligkeit der Wirtschaft. Die konkreten Verfassungs- und Wirtschaftsstrukturen können sich dagegen deutlich unterscheiden.
Auf dem Lande versucht die Guts- oder Bauernwirtschaft, autark zu sein. Alles, was man braucht, wird möglichst selbst erzeugt und/oder kleinräumig gehandelt. Die Stadt ist hingegen bereits sehr früh auf die erwähnte Arbeitsteiligkeit ausgelegt. Es bilden sich sehr schnell spezialisierte Gewerbe. Und zwar zuerst in der Regel jene, welche für die Grundversorgung der Bevölkerung zuständig sind: die Schlachter, die Bäcker, die Schumacher, die Gerber. Diese ältesten Gewerbe erlangen, auch weil sie im Wirtschaftssystem der Stadt eine grundlegende Funktion haben, als erste Privilegien, Innungsprivilegien bzw. Gildeprivilegien, und zwar in der Regel vom Stadtherren – also einem Adligen, einem Fürsten, einem Landesherren oder, besonders prominent, vom König. Mit diesen Privilegien beginnen sie nach und nach, ihren Interessenbereich, der sich auf die Stadt erstreckt und auf die Wirtschaftswege, in welche die Stadt eingebunden ist, auf Kosten der nominellen Rechte des Stadtherren oder Landesherren auszuweiten. Aus dieser Selbstorganisation der verschiedenen Gilden und des Interessenausgleichs durch Aushandlungsprozesse bildet sich ab dem frühen 13. Jahrhundert der Rat als kommunale Vertreterschaft für die Bürger, also für das, was sich in diesem Rechtsbereich innerhalb der Stadtmauern abspielt, mit dem Anspruch, die Interessen der gesamten Stadtbevölkerung zu vertreten. Aus dieser Entwicklungsgeschichte erklärt sich, warum in der Regel die ältesten Gilden im Rat vertreten sind. In Göttingen zum Beispiel kann man etwa ab dem Jahr 1230 feststellen, dass es eine ortsfeste Verwaltung gibt: es gibt ein Ratskollegium, es gibt ein Rathaus, und die zentrale Sammlung der für die Stadt wichtigen Quellen setzt ein (im heutigen Stadtarchiv). Innerhalb der frühen Ratskollegien dominieren bestimmte Familien oder Gewerbezweige. Das sind in Westdeutschland und in Norddeutschland in der Regel Kaufleute oder Kaufmannskonsortien, vor allem jene, die Fernhandel betreiben. Das ist gleichzeitig die Trägerschicht der Hanse, die ab dem 13. und vor allem im 14. und 15. Jahrhundert von Flandern bis weit ins Baltikum reicht. In Göttingen sind die Kaufleute ab etwa 1400 für den Rest des Mittelalters sogar die einzigen, die den Rat stellen. Dies ist deshalb möglich, weil es keine Wahlen gibt. Stattdessen wird, wenn ein Ratsherr stirbt, dessen Nachfolger aus der Gruppe der Kaufleute, die ihr Netzwerk über Heirat und Handelsbeziehungen permanent stabilisierten und ausbauten, kooptiert.
Neben den schon genannten, auf die Grundversorgung der Bevölkerung ausgerichteten Gewerben der Schlachter, Bäcker, Schumacher, Gerber und Schmiede ist das Wirtschaftsleben im mittelalterlichen Göttingen vor allem geprägt von dem auf Export angelegten Leinwand- und Tuchgewerbe; Göttinger Leinen ist bis nach England und Holland, Göttinger Wolltuch in den nordöstlichen Hanseraum sowie ebenfalls nach Holland exportiert worden. Die Märkte von Erfurt und Frankfurt am Main sind Absatzplätze der Göttinger Leinen- und Wolltuche. Aus der Bedeutung dieses Handels erklärt sich auch die dominierende politische und soziale Stellung der Kaufleute. Der Wirtschaftsstruktur entsprechend, gehörte Göttingen über 220 Jahre zum Städtebund der Hanse (1351-1572), hielt engen Kontakt zu Braunschweig als Vormacht des sächsischen Viertels der Hanse und beteiligte sich an politischen Bündnissen mit niedersächsischen und thüringischen Städten.
„Fingerlang Handel bringt mehr als armlang Handwerk“, sagt ein mittelalterliches Sprichwort; der Fernhandelskaufmann, der den Hanseraum von England und Flandern über Schweden bis Nowgorod in Russland bereist, um Göttinger Tuche, vor allem qualitätsgeprüfte Wolltuche zu verkaufen und der dabei oft erhebliche Risiken für Leib und Leben eingeht, ist in seinem wirtschaftlichen Erfolg vor allem von der Qualität der hier hergestellten Tuche abhängig. Die Wollenweber und Tuchmacher, die unter dem Schutz des Rates zur Wollenwebergilde zusammengeschlossen sind, produzieren den wichtigsten Exportartikel des mittelalterlichen Göttingen, und sie wissen das natürlich auch.
Entsprechend dem mittelalterlichen Brauch, dass viele Gewerbe in der Stadt zusammen siedeln, haben auch die Wollenweber und Tuchmacher ihre eigene Siedlung, und zwar auf der Neustadt am Leinekanal. Hier finden sie das Brauchwasser zum Waschen und Färben, hier stört das lärmende Klappern der zahlreichen Webstühle nicht die Bürger der Stadt. Ihr Pfarrsprengel ist derjenige der Marienkirche, die vom Deutschen Orden errichtet wurde und unterhalten wird, und mit der sie sich sichtbar identifizieren: Als diese Kirche in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erneuert und zu einer dreischiffigen gotischen Hallenkirche erweitert wird, beteiligen sich die Wollenweber und Tuchmacher der Neustadt an der Finanzierung dieses Baus. Der östliche Schlussstein des Gewölbes zweigt ein weitverbreitetes Werkzeug der Wollverarbeitung, den sogenannten Fachbogen, der hier analog einem Siegel- oder Wappenbild verwendet ist. Er dient zur Faseraufbereitung in der Garnherstellung, ist also Handwerksinstrument von zentraler Bedeutung – der Wappenstein im Kirchengwölbe, der dieses Werkzeug zeigt, repräsentiert selbstbewusst und für alle erkennbar die Gilde der Wollenweber und Tuchmacher.
Die Ratsgesetzgebung hat im Interesse der Göttinger Hansekaufleute dafür gesorgt, dass die Wollenweber und Tuchmacher ihr Tuch nicht selbst exportieren und auf fremden Märkten absetzen dürfen; vielmehr sind sie gezwungen, es an die Kaufmannsgilde in Göttingen zu verkaufen.
Die Göttinger Wolltuche und Laken unterliegen einer strengen Qualitätskontrolle des Rates, der sich das ganze Mittelalter über aus Fernhandelskaufleuten zusammensetzt. Nur diejenigen Ballen, welche nach Überprüfung die Bleiplombe des Rates mit dem Göttinger „G“ erhalten, dürfen als Göttinger Tuche exportiert werden. Das hat aber offenbar nicht immer funktioniert. Auf dem Lübecker Hansetag des Jahres 1423 wurden heftige Beschwerden über die mangelnde Qualität der Göttinger Tuche vorgebracht und der Rat verwarnt, solche minderwertigen Stoffe weiterhin in den Handel zu bringen:
„Aus den Hansestädten sind vielfach Klagen gekommen wegen der Tuche, die in eurer Stadt hergestellt wurden, nämlich dass die einzelnen Ballen viel zu kurz seien, so dass die ehrenwerten Kaufleute, die sie weiter bis nach Russland transportieren, dort und in anderen Gegenden deswegen belangt werden und beträchtliche Einbußen hinnehmen müssen. Deshalb verwarnen wir euch, dass eure Tuche künftig wieder die Länge und die Maße aufweisen, wie sie seit altersher festgelegt sind. Andernfalls wird der Handel mit euren Tuchen im Gebiet der Hanse verboten, und sie werden beschlagnahmt.“
Die deutliche Ermahnung scheint wirksam gewesen zu sein, denn sie musste nicht wiederholt werden. Im Allgemeinen aber funktionierte das Zusammenspiel zwischen Wollenwebern und Tuchmachern als Produzenten, dem Rat als Kontrollorgan und den Göttinger Fernhandelskaufleuten als Händlern und Exporteuren. Die Tuchplomben mit dem Göttinger „G“ konnten archäologisch in England, den Niederlanden, in Schweden, dem Baltikum und in Russland nachgewiesen werden.
In diesem Zusammenspiel zwischen der Wollenweber- und Tuchmachergilde und dem Rat war es wirtschaftlich lukrativ, Mitglied dieser Göttinger Gilde zu sein; allein von 1476 bis zum Jahre 1530, also innerhalb von 54 Jahren, sind 159 Wollenweber neu nach Göttingen zugezogen; während ihre Gilde 1504 noch 41 Mitglieder umfasste, waren es rund 25 Jahre später bereits 170 und 1550 bereits über 300. Dieser Zuzug erfolgte vor allem aus Westfalen und den Niederlanden, beginnend mit der Anwerbung eines Tuchmachers aus Deventer im Jahre 1476. Der Göttinger Rat versprach sich durch diese Anwerbung die Kenntnis neuer Techniken und Fertigungsmethoden zur Herstellung besonders feiner und besonders farbenfroher Stoffe; diese Spezialisten wurden als Drapeniere (vom frz. „le drap“ = der Stoff, das Laken) oder „neue Wollenweber“ genannt.
Das seit dem Jahre 1517 von Martin Luther und seinen Anhängern verkündete reformatorische Programm fand in Göttingen unterschiedliche Aufnahme: während die wirtschaftlich und sozial dominierende Gruppe der Kaufleute, die die Ratspolitik bestimmten, sich der neuen Lehre gegenüber reserviert verhielt, wandten sich vor allem die Handwerker ihr rasch zu. Luthers Bibelübersetzung wurde – zunächst heimlich – vor allem bei den Wollenwebern und Tuchmachern, einer der größten und für die städtische Wirtschaft wichtigsten Innungen, herumgereicht. Für sie verband sich ihr Kampf um die Beteiligung am Stadtregiment mit den Auseinandersetzungen um die Erneuerung der Kirche; wie in den meisten norddeutschen Städten trägt auch in Göttingen die im Jahre 1529 erfolgte Einführung der Reformation zugleich die Züge einer Sozialrevolution.
Neben den Fernhandelskaufleuten saßen jetzt auch Vertreter der Gilden im Rat; so waren die Tuchmacher in den Jahren 1524, 1525 und 1528 durch ihren Ältermann Werner v . Esebeck im Rat vertreten.
Wie die übrigen, frühzeitig zur evangelischen Lehre übergetretenen Mittel- und Großstädte in den welfischen Landen trat auch Göttingen dem Zusammenschluss der evangelischen Fürsten und Städte, dem Schmalkaldischen Bund bei.
Doch als das Reichsaufgebot unter Kaiser Karl V. im Jahre 1547 in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe die evangelische Partei entscheidend geschlagen hatte, musste sich Göttingen wie die anderen Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes auch an den vom Kaiser auferlegten schweren Bußleistungen beteiligen. Ein Lösegeld von 10 000 Rheinischen Gulden (für 1 Gulden bekam man 4 Zentner Getreide) wurde der Stadt auferlegt, die seit Jahrzehnten selber verschuldet war. An dieser wirtschaftlichen Last hatte die Stadt weitere Jahrzehnte schwer zu tragen. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts setzte allmählich wieder eine Aufwärtsentwicklung ein. Diese wurde aber durch zwei verheerende Pestepidemien in den Jahren 1597 und 1611 vorübergehend gestoppt; mehr als ein Drittel der Bevölkerung fiel der Pest zum Opfer. Entsprechend ging auch zunächst das Wirtschaftsleben zurück und das Exportgewerbe der Woll- und Leinentuchproduktion brach zusammen. Einen stärkeren Einbruch als die Pestwellen brachte der 30-jährige Krieg (1618-1648). Durch verschiedene direkte Kriegshandlungen – Belagerung, Beschießung, Plünderung – entstand in den ersten zehn Jahren des Krieges ein Schaden von mehr als 100 000 Talern, wie der Rat der Stadt im Jahre 1629 feststellen musste. Noch größer war die Belastung durch Einquartierungsgelder und sogenannte Kontributionen, also zwangsweise von den verschiedenen Parteien erhobene Rüstungsgelder; bis 1632 hatte Göttingen über 400 000 Taler aufzubringen. Allein die daraus erwachsenden Zinsverpflichtungen betrugen 25 000 Taler. Um welche Größenordnung es sich bei diesen Zahlen handelt, wird klar, wenn man bedenkt, dass die gesamten regulären städtischen Steuereinnahmen um 1629 bei jährlich rund 2300 Talern lagen, d. h. Knapp ein Zehntel der Zinsen!.
Die Stadt schien auf Jahrzehnte hin wirtschaftlich gelähmt und unfähig, aus eigener Kraft der ausweglosen Lage zu entkommen. Aus der wirtschaftlichen Ohnmacht ergab sich auch eine politische. Dem Zugriff des Landesherrn auf die seit rund dreihundert Jahren in städtischer Hand befindlichen Privilegien hatte die Stadt nicht entgegenzusetzen. Im Jahre 1665 gelangten Münzrecht, Geldwechsel, Zoll und das obrigkeitliche Gericht (Schultheißenamt) wieder in die Hände des Fürsten. 1690 wurde die Ratswahlordnung aufgehoben, der Rat als Leitungsgremium und Vertreter der Bürgerschaft wurde künftig durch die Regierung in Hannover bestimmt, die Stadt hatte nur mehr ein Vorschlagsrecht. Der wirtschaftliche Handlungsspielraum der einst wohlhabenden und stolzen Hansestadt war verloren gegangen.
Im Jahre 1702 erging aus Hannover eine Bauordnung, um die seit dem 30-jährigen Krieg noch bestehenden Ruinen und verlassenen Hofstellen zu beseitigen; eine Bestandsaufnahme ergab, dass mehr als 350 Häuser innerhalb der Walles verfallen oder baufällig waren; daraufhin setzte eine verhältnismäßig umfangreiche Bautätigkeit ein. Parallel dazu betrieb die Regierung die planvolle Ansiedlung neuer Gewerbebetriebe, daraus ergaben sich zahlreiche neue Arbeitsplätze für die Bevölkerung sowie ein langsam wieder ansteigender Wohlstand. Innerhalb von 30 Jahren, von 1700 bis in die Gründungsphase der Universität ab 1730 wuchs die Einwohnerschaft rapide an, von rund 3500 auf über 8500 Bewohner. Mehr als zweihundert Häuser wurden in dieser Zeit neu gebaut. Der Verlust der alten städtischen Freiheiten und der verstärkte Einfluss der fürstlichen Regierung erwiesen sich als notwendige Voraussetzung für den allmählichen Aufschwung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse.
Nicht nur der bauliche Zustand der Stadt, sondern auch die gewerbliche Entwicklung mitsamt den wirtschaftlichen Strukturen wurden von der Regierung erheblich und nachhaltig gefördert. All diese Maßnahmen standen seit den frühen dreißiger Jahren bereits unter den Vorzeichen der geplanten Landesuniversität.
Eine besonders aufwendige Maßnahme der Regierung zur Förderung der Göttinger Wirtschaft galt dem Textilgewerbe. Einerseits konnte damit an die frühere Tradition der Tuchproduktion angeknüpft werden, andererseits sollte ein neu entstandener Bedarf gedeckt werden. Die kurfürstliche Regierung setzte merkantilistisch orientierte Unternehmer, sogenannte Entrepreneurs ein; sie waren durch Schutzverordnungen der Regierung abgesichert, hatten den Rohstoffeinkauf durchzuführen, mussten regelmäßige Lohnzahlungen garantieren und waren für die gleichbleibende Qualität der Tuche verantwortlich. Im Gegenzug erhielten sie umfangreiche Abnahmegarantien zur Ausrüstung der kurfürstlichen Armee. Unter diesen Bedingungen entstanden einige Tuchmanufakturen, von denen schließlich diejenige des Johann Heinrich Grätzel die größte und mit Abstand wirtschaftlich erfolgreichste wurde. Grätzel (1736 – 1820) war aus Dresden zugezogen und hatte zunächst in enger Abstimmung mit der Tuchmachergilde eine Manufaktur nach dem Verlagssystem aufgebaut.
Im Verlagssystem erfolgt die Produktion dezentral in Heimarbeit, und der Vertrieb ist zentral geregelt. Der Verleger ist verantwortlich für die Beschaffung der Rohstoffe und übernimmt häufig auch die Beschaffung der Produktionsmittel – der Spinnräder oder Webstühle. Er verfügt, abgesichert durch staatliche Privilegien und staatliche Kredite, über ein Ankaufsmonopol für die fertigen Woll- und Leinenstoffe und vermarktet sie zentral.
Die Rohstoffe für die Wolltuche stammten zunächst zum großen Teil aus dem Umland; das Gebiet des heutigen Göttinger Waldes und der Hainberg bildeten eine weithin offene Weide- und Buschlandschaft und wurde mit Schafen und Ziegen bewirtschaftet.
Mit der Vergrößerung der Grätzelschen Manufaktur kamen das Eichsfeld und schließlich auch England und die Niederlande als Rohstofflieferanten hinzu. Der Arbeitstag der Spinnerinnen und Spinner umfasste in der Regel 16 Stunden, und Kinderarbeit war weithin die Regel. Um Arbeitslosigkeit und Straßenbettelei zu bekämpfen, gründete 1785 in Göttingen der Pastor Wagemann eine Industrieschule zum Erlernen der Kammgarnspinnerei, in der bis zu 300 verarmte oder verwaiste Kinder versorgt, erzogen und ausgebildet wurden; diese Industrieschule war bezeichnenderweise bei der Marienkirche in der Neustadt angesiedelt, dem traditionellen Tuchmacherquartier.
Der ungewöhnlich große Erfolg der Grätzelschen Manufaktur hing einerseits von der gleichbleibenden Qualität der Stoffe und Tuche ab, andererseits von einer auf Expansion zielenden Erschließung neuer Absatzwege. Mit günstigen und in verschiedenen Farben hergestellten Tuchen war Grätzel auf den großen Messen in Leipzig und Frankfurt präsent und erschloss sich Handelsverbindungen bis nach Italien. Zwar unterhielt er auch in Göttingen ein Ladengeschäft mit günstigen Alltagsstoffen für die Stadt- und Landbevölkerung im Angebot, aber davon abgesehen war er über den Bedarf des Göttinger Marktes schnell hinausgewachsen. Als der größte Arbeitgeber der Stadt beschäftigte er schon um 1740 mehr als einhundert Garn- und Wollspinner und zehn Jahre später bereits einige tausend, vor allem im Ausland, d.h. auf dem benachbarten Eichsfeld, dessen Landesherr der Mainzer Erzbischof war. Der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Johann Friedrich von Ostein ernannte Grätzel 1784 zum Mainzischen „Ersten Commercienrat“, weil er dem Eichsfeld und seinen Untertanen durch seine Wollspinnereien „Nutz und Nahrung“ verschafft habe, außerdem auf den jährlichen Messen in Mainz umfangreiche Warenlager bereithalte und dadurch zum Ansehen der Residenzstadt Mainz erheblich beitrage.
Die Göttinger Tuchmachergilde war Grätzels Manufaktur gewissermaßen in kritischer Loyalität verbunden. Es gab eine notwendige Kooperation, denn anderseits sollten die von auswärts zur Weiterverarbeitung hierher gelieferten Garne auch dem handwerklichen Göttinger Qualitätsstandard entsprechen und andererseits sollten die örtlichen Preise nicht unterboten werden.
Es war kein Zufall, dass noch im selben Jahr 1784 der Göttinger Stadt- und Landesherr, der Hannoversche Kurfürsten Georg August, als englischer König Georg II., anlässlich seines Besuches der neuen Landesuniversität, die seinen Namen trug, Grätzel ebenfalls auszeichnete, indem er ihn zum Ober-Commercien-Comissarius ernannte, ein noch höherer Titel als der vom Mainzer Erzbischof verliehene. Die Fürsten feilschten geradezu um den Göttinger Tuchproduzenten – der eine wollte ihn aus dem Mainzer Eichsfeld abwerben, der andere ihn im welfischen Kurfürstentum halten.
Grätzels wirtschaftlicher Erfolg zeigt sich auch in seinen sonstigen Unternehmungen und im gesellschaftlich-karitativen Engagement: er errichtete in der Allee, der heutigen Goetheallee, das über mehrere Grundstücke reichende stattliche Wohnhaus (das wir als Grätzelhaus kennen) und erbaute in derselben Straße noch zwei weitere Häuser als Produktionsstätten und Wohnungen. Weitere großzügig angelegte Produktionsstätten gab es westlich vor der Stadt in Grone. Und Grätzel gehörte zu den ersten Mitgliedern und Förderern der Göttinger Freimaurerloge, die überwiegend aus eigenen Mitteln das erste kommunale Krankenhaus in Göttingen erbauen ließ. Die Leitung übernahm Gottlieb August Richter, der seinerzeit berühmteste Chirurg der Universität, der ebenfalls zu den führenden Freimaurern unserer Stadt zählte.
Als Johann Heinrich Grätzel 1820 im Alter von 78 Jahren starb, beschäftigte seine Manufaktur allein auf dem Eichsfeld einige tausend Wollspinner.
Weniger als eine Generation später begann das aufkommende Industriezeitalter sich durch eine zunehmende Mechanisierung der Wollaufbereitung auch auf die Strukturen und die Organisation des Tuchgewerbes auszuwirken und führte innerhalb kurzer Zeit zunächst zu einem deutlichen Beschäftigungsrückgang.
In der überörtlichen und überregionalen wirtschaftlichen Bedeutung wurde das im Jahre 1846 begründete Unternehmen von Hermann Levin der eigentliche Nachfolger der Firma Grätzel, 26 Jahre nach Johann Heinrich Grätzels Tod.
Innerhalb weniger Jahre nahm das Unternehmen einen solchen Aufschwung, dass man bald auf dem ehemaligen Gelände der Grätzelschen Manufaktur in Grone eine stattliche Tuchfabrik errichten konnte, die zu den modernsten in Europa zählte. Zunächst arbeitete man noch mit Handwebstühlen, ging dann aber bald zum mechanischen Weben mit Hilfe von Dampfmaschinen und dem Antrieb durch Wasserkraft der Grone über. Etwa eine Generation nach Gründung der Fabrik hatte die Firma Levin über 400 Arbeiter und 250 Arbeiterinnen in Lohn und Brot. Der Tuchmacher als Handwerker war zum Fabrikarbeiter geworden. Zu den Fabrikanlagen gehörten bald der noch heute so genannte Levinsche Park als Pausen- und Ruhezone für die Arbeiter.
In der Namengebung der angrenzenden Straßen, der Levinstraße und der Grätzelstraße, wie im Namen des Tuchmacherborns leben die Tradition der Göttinger Tuchmacher und der unaufhaltsame Wandel des ursprünglichen Gildehandwerks zur Tuchfabrik mit ihren hunderten Arbeiterinnen und Arbeitern in der Erinnerung und im Bewusstsein der Göttinger Bevölkerung fort.
Oktober 2020
Professor Dr. Peter Aufgebauer
The History and Tradition of the Cloth Makers in Göttingen
In Göttingen, the image of the city changed particularly strongly in the 19th century. The development outside the wall increased steadily, starting with the observatory for Carl Friedrich Gauß and factories to the west and northwest of the city. The wall was broken through in two places so that the area in front of it could be built on: Theater, Königliches Gymnasium (today: Max-Planck-Gymnasium) and finally the East Quarter expanded the urban area.
The Hainberg was systematically reforested under Lord Mayor Georg Merkel and the Göttingen Forest gradually took the place of the open pastures. The bourgeoisie gratefully accepted the new local recreational opportunities, which also offered views of the city “from above”.
The beautification association founded in 1876 on the initiative of the citizens with the active help of the mayor made the development of the newly wooded Hainberg its business. It took care of the planting of certain trees and bushes, the creation and maintenance of walking paths, the setting up of benches, the construction of shelters. At the beginning of the 20th century the association tried to increase the attractiveness for hikers by enclosing and designing watercourses and springs and in this way to create small oases of relaxation. The respective designation was borrowed from the local topography, the appearance of the landscape and the local traditions. This is how the Schäferbrunnen, the Reinsrinne, the Lichte Meer, the Eselstieg and the Tuchmacherborn came into being.
With the choice of the name Tuchmacherborn the memory of the city’s most important trade for centuries should be kept alive – a branch of industry that in its classic handicraft structure in the course of the 19th century the industrial transformation with its mechanization and the change of the job description from craftsmen to factory workers fell victim to. Maintaining the „oasis of calm and relaxation“ created more than a hundred years ago in the vicinity of Göttingen is still what the beautification association sees as its concern and task.
Therefore, a short review of the Göttingen cloth making should be offered here, the historical importance which the Beautification Association wanted to keep alive in the memory and awareness of the Göttingen population by choosing the name “Tuchmacherborn”.
From the beginnings of a village until the early 14th century Göttingen developed into a city in the legal sense. The classic definition of city is market, wall and municipal law. A city is therefore a delimited special area, within the walls the city law applies, outside the land law. In this respect the difference between urban law and land law is central, this difference is common to all cities, as is the division of labor in the economy. The concrete constitutional and economic structures, however, can differ significantly.
In the country the estate or farming industry tries to be self-sufficient. Everything that is needed is produced as possible and / or traded on a small scale. The city, on the other hand, designed the aforementioned division of labor very early on. Specialized trades develop very quickly. First of all, as a rule, those who are responsible for the basic provision of the population: the butchers, the bakers, the shoemakers, the tanners. These oldest trades, also because they have a fundamental function in the city’s economic system, are the first to obtain privileges, guild privilege, usually from the city lord – a nobleman, a prince, a sovereign or, particularly prominent, from the king. With these privileges they gradually begin to expand their area of interest, which extends to the city and the economic routes in which the city is integrated, at the expense of the nominal rights of the city lords or sovereigns. From this self-organization of the various guilds and the balancing of interests through negotiation processes, the council was formed from the early 13th century as a municipal representative body for the citizens, i.e. for what takes place in this legal area within the city walls, with the claim to represent the interests of the whole urban population. This development of history explains why the oldest guilds are usually represented on the council.
In Göttingen, for example, one can see from around 1230 that there is a permanent administration: there is a council, a town hall and the central collection of the sources important for the beginning of the city (in today’s town archive).
Certain families or trades dominate within the early councils. In West Germany and North Germany, these are usually merchants or merchants‘ consortia, especially those who conduct long-distance trade. This is also the backing of the Hanseatic League, which from the 13th and especially in the 14th and 15th centuries stretched from Flanders far into the Baltic States.
In Göttingen the merchants from around 1400 for the rest of the Middle Ages are even the only ones who provide the council. In Göttingen the merchants from around 1400 for the rest of the Middle Ages are even the only ones who provide the council. This is possible because there are no elections. Instead, if a Ratsherr dies, his successor is co-opted from the group of merchants who have permanently stabilized and expanded their network through marriage and trade relations.
Medieval Göttingen was mainly characterized by the canvas and cloth trade, which was aimed at export. Linen from Göttingen has been exported to England and Holland, Göttingen woolen cloth to the north-eastern Hanseatic region and also to Holland. The markets of Erfurt and Frankfurt am Main are sales points for Göttingen linen and woolen cloth. The importance of this trade also explains the dominant political and social position of the merchants.
According to the economic structure, Göttingen belonged to the Hanseatic League of Towns (1351-1572) for 220 years, kept close contact with Braunschweig as the dominant power in the Saxon Hanseatic quarter and participated in political alliances with Lower Saxony and Thuringian cities.
The long-distance trade merchant who travels the Hanseatic region from England and Flanders via Sweden to Novgorod in Russia in order to sell Göttingen cloths, especially quality-tested woolen cloths, and who often takes considerable risks for life and limb, is primarily dependent on the quality of the cloths manufactured here depending on. The woolen weavers and cloth makers, who are united under the protection of the council to form the woolen weavers‘ guild, produce the most important export articles of medieval Göttingen, and of course they know that too.
In keeping with the medieval custom that many businesses settle together in the city, the woolen weavers and cloth makers also have their own settlement on the Neustadt on the Leine Canal. Here you will find the water for washing and dyeing, here the noisy clatter of the numerous looms does not disturb the citizens of the city. Their parish is that of the Marienkirche, which was built and maintained by the Teutonic Order, and with which they visibly identify. When this church was renovated in the first half of the 14th century and expanded into a three-aisled Gothic hall church, the wool weavers participated and the drapery of the Neustadt participated to finance this construction. The eastern keystone of the vault branches shows off a widespread tool of wool processing, the so-called technical arch, which is used here analogously to a seal or coat of arms. It is used for fiber preparation in yarn production, so it is a handicraft instrument of central importance. The coat of arms stone in the church vault, which shows this tool, represents the guild of wool weavers and draperies self-confidently and recognizable for everyone.
The council has ensured in the interest of the Göttingen merchants that the woolen weavers and the drapery did not export and sell their goods on foreign markets; rather, they are forced to sell it to the merchant guild in Göttingen.
The woolen cloth and blankets are subject to strict quality control to the Council which was composed over the Middle Ages only from long-distance trade merchants. Only those bales which after checking receive the council’s lead seal with the Göttingen “G”, may be exported as Göttingen cloth. Obviously, that didn’t always work.
At the Lübeck Hanseatic Day in 1423 violent complaints were made about the poor quality of the Göttingen cloths. The council warned against continuing to sell such inferior materials, “There have been many complaints from the Hanseatic cities about cloths that are produced in your city that the individual bales are much too short, so that the honorable merchants who transport them to Russia are prosecuted there and in other areas and have to accept considerable losses. We therefore warn you that in future your cloths will again have the length and dimensions as they have been established since ancient times. Otherwise the trade in your cloths in the Hanseatic League will be banned and they will be confiscated.”
The clear admonition seems to have been effective because it did not have to be repeated. In general, however, the interplay between woolen weavers and cloth makers worked as producers, the council as the control body, and the Göttingen long-distance trade merchants as traders and exporters. The cloth seals with the Göttingen “G” were archaeologically proven in England, the Netherlands, Sweden, the Baltic States and Russia. In this interplay between the woolen weavers and cloth makers guild and the council, it was economically lucrative to be a member of this Göttingen guild. Between 1476 and 1530 alone, i.e. within 54 years, 159 wool weavers moved to Göttingen. While their guild still comprised 41 members in 1504, around 25 years later there were already 170 and in 1550 more than 300 members.
This influx came mainly from Westphalia and the Netherlands, beginning with the recruitment of a draper from Deventer in 1476. The Göttingen council promised itself through this recruitment the knowledge of new techniques and manufacturing methods for the production of particularly fine and particularly colorful fabrics; these specialists were known as drapeniere (from the French „le drap“ = the fabric, the sheet) or „new wool weavers“.
The Reformation program, announced by Martin Luther and his followers since 1517, found different reception in Göttingen: while the economically and socially dominant group of merchants who determined the council policy were reserved about the new doctrine, it was mainly the craftsmen who turned to it quickly, too. Luther’s translation of the Bible was passed around – initially secretly – mainly to wool weavers and cloth makers, one of the largest and most important guilds for the urban economy. For them, their struggle for participation in the city regiment was combined with the disputes over the renewal of the church. As in most northern German cities the introduction of the Reformation in Göttingen in 1529 also had the characteristics of a social revolution.
In addition to the long-distance trade merchants representatives of the guilds now sat on the council. Thus the cloth makers were represented in the council in the years 1524, 1525 and 1528 by their elder Werner von Esebeck.
Like the other medium-sized and large cities in the Guelph lands, which converted to Protestant teaching at an early stage, Göttingen also joined the union of the Protestant princes and cities, the Schmalkaldic League. But when the imperial contingent under Emperor Charles V had decisively defeated the Protestant party in the battle of Mühlberg on the Elbe in 1547, Göttingen, like the other members of the Schmalkaldic League, had to participate in the heavy penances imposed by the emperor. A ransom of 10,000 Rhenish guilders (for 1 guilder you got 4 hundredweight of grain) was imposed on the city, which had been in debt for decades. The city had to bear this economic burden for further decades.
Only towards the end of the 16th century did an upward trend gradually begin again. But this was temporarily stopped by two devastating plague epidemics in 1597 and 1611. More than one third of the population fell victim to the plague. Accordingly, economic life initially declined and the export trade in wool and linen production collapsed. The Thirty Years‘ War (1618-1648) brought a stronger slump than the waves of plague. Through various direct acts of war – siege, bombardment, looting – arose in the first ten years of the war damage of more than 100,000 thalers, as the city council found in 1629. The burden of billing money and so-called contributions, that is, armaments money compulsorily raised by the various parties, was even greater. Until 1632 Göttingen had to raise over 400,000 thalers. The resulting interest obligations alone amounted to 25,000 thalers. The magnitude of these numbers becomes clear when one considers that the total regular city tax revenue in 1629 was around 2300 thalers per year, i.e. almost a tenth of the interest.
The city seemed economically paralyzed for decades and unable to escape the hopeless situation on its own. The economic powerlessness turned into a political one. The city had no opposition to the sovereign’s access to the privileges that had been in the hands of the city for around three hundred years.
In 1665 minting rights, money exchange, customs and the magistrate’s court (mayor’s office) came back into the hands of the prince. In 1690 the council election regulations were abolished, the council as the governing body and representative of the citizenship was in future determined by the government in Hanover, the city only had the right to make proposals. The once prosperous and proud Hanseatic city had lost its economic room for maneuver.
In 1702 Hanover issued building regulations to remove the ruins and abandoned farmsteads that had existed since the Thirty Years‘ War. An inventory showed that more than 350 houses within the Wall were derelict or dilapidated. Then began a relatively extensive construction activity.
At the same time the government systematically set up new businesses, which resulted in numerous new jobs for the population as well as slowly increasing prosperity. Within 30 years, from 1700 to the founding phase of the university from 1730 upwards, the population grew rapidly, from around 3500 to over 8500 residents. More than two hundred houses were built during this time. The loss of the old urban freedoms and the increased influence of the princely government turned out to be a necessary prerequisite for the gradual upswing in economic and social conditions.
Not only the structural condition of the city, but also the commercial development, including the economic structures, received substantial and lasting support from the government. All of these measures have been under the auspices of the planned state university since the early 1730s.
A particularly expensive measure by the government to promote the Göttingen economy was the textile industry. On the one hand, it was possible to build on the earlier tradition of cloth production, on the other hand, a new demand that had arisen was to be met. The electoral government employed mercantilist-oriented entrepreneurs, they were protected by government protection regulations, had to buy raw materials, had to guarantee regular wage payments and were responsible for the constant quality of the cloths. In return, they received extensive acceptance guarantees for equipping the electoral army. Under these conditions a few cloth manufacturers emerged, of which that of Johann Heinrich Grätzel became the largest and by far the most economically successful.
Grätzel (1736-1820) had moved from Dresden and initially set up a manufacturing facility based on the publishing system in close cooperation with the Cloth Makers‘ Guild. In the publishing system production takes place decentrally in home work and sales are regulated centrally. The publisher is responsible for the procurement of raw materials and often also takes over the procurement of the means of production: spinning wheels or looms. Secured by state privileges and state loans it has a monopoly on purchasing the finished wool and linen fabrics and markets them centrally.
The raw materials for the woolen cloth initially came largely from the surrounding area. The area of today’s Göttingen Forest and the Hainberg formed a widely open pasture and bush landscape and was farmed with sheep and goats. With the expansion of the Grätzel manufactory Eichsfeld and finally England and the Netherlands were added as raw material suppliers.
The spinners‘ working day was usually 16 hours, and child labor was widely the norm. In order to combat unemployment and street begging Pastor Wagemann founded an industrial school in Göttingen in 1785 to teach worsted spinning, in which up to 300 impoverished or orphaned children were cared for, brought up and trained. This industrial school was significantly located at the Marienkirche in Neustadt, the traditional drapery quarter.
The unusually great success of the Grätzel manufactory depended on the one hand on the consistent quality of the fabrics and cloths, on the other hand on the development of new sales channels aimed at expansion. Grätzel was present at the big trade fairs in Leipzig and Frankfurt with cheap cloths made in different colors. He opened up trade connections to Italy. It is true that he also entertained in Göttingen a shop with cheap everyday fabrics for the urban and rural population, but apart from that it had quickly outgrown the needs of the Göttingen market. As the largest employer in the city, he was already employing more than a hundred yarn and wool spinners around 1740 and a few thousand ten years later, mainly abroad, i.e. on the neighboring Eichsfeld whose sovereign was the Archbishop of Mainz. In 1784 the Archbishop of Mainz and Elector Johann Friedrich von Ostein appointed Grätzel Mainz’s “First Commercienrat” because he had provided Eichsfeld and his subjects with “food and utility” through his wool spinning mills. He also had extensive warehouses ready at the annual trade fairs in Mainz, thus the reputation of the royal seat of Mainz contributed significantly.
The Göttingen Cloth Makers‘ Guild was to a certain extent bound up with Grätzel’s manufactory in critical loyalty. There was a necessary cooperation because, on the one hand, the yarns delivered here from abroad for further processing should also meet the quality standard of Göttingen’s craftsmanship and, on the other hand, the local prices should not be undercut. It was no coincidence that in the same year 1784 the Göttingen city and sovereign, the Hanoverian Elector Georg August as King George II of England, also honored Grätzel on the occasion of his visit to the new state university that bore his name. He appointed Grätzel „Ober-Commercien-Comissarius“, an even higher title than that conferred by the Archbishop of Mainz. The princes practically haggled over the Göttingen cloth producer, one wanted to lure him away from the Mainz Eichsfeld, the other to keep him in the Electorate of Guelph.
Grätzel’s economic success is also evident in his other undertakings and in social and charitable engagement. He built the stately residential building, which we know as Grätzelhaus, on the avenue, today’s Goetheallee, and built two more houses on the same street as production facilities and apartments. There were other spacious production facilities to the west of the city in Grone. And Grätzel was one of the first members and sponsors of the Göttingen Freemason Lodge, which had the first communal hospital built in Göttingen mainly from its own resources. Gottlieb August Richter, the most famous surgeon at the university at the time, who was also one of the leading Freemasons in our city, took over the management. When Johann Heinrich Grätzel died in 1820 at the age of 78, his factory employed several thousand wool spinners on the Eichsfeld alone.
Less than a generation later the emerging industrial age began to have an impact on the structures and organization of the textile industry through increasing mechanization of wool processing and, within a short period of time, initially led to a significant decline in employment.
In terms of supraregional and supraregional economic importance the company founded by Hermann Levin in 1846 became the actual successor to the Grätzel company. 26 years after Johann Heinrich Grätzel’s death Grätzel Manufaktur was able to build a stately cloth factory in Grone, one of the most modern in Europe. At first they still worked with hand looms, but soon switched to mechanical weaving with the help of steam engines and the power of the Grone’s water power. About a generation after the factory was founded, the Levin company had over 400 workers and 250 women workers. The draper as a craftsman had become a factory worker.
The factories soon included the so-called Levin Park, which is still known today as a break and quiet zone for the workers. In the naming of the adjacent streets Levinstrasse and Grätzelstrasse, as in the name of the Tuchmacherborn, the tradition of the Göttingen cloth makers and the unstoppable change of the live original guild handicrafts to the cloth factory with its hundreds of workers lives on in the memory and consciousness of the Göttingen population.
Autumn 2020
Author: Professor Dr. Peter Aufgebauer
Interpreter: Dr. Joachim Weiss