im März 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Die verhinderte Sanierung des Städtischen Museums Göttingen.
Ein Schwarzbuch“

So haben wir, Frau Dr. Frauke Geyken und ich, als Mitglieder des Göttinger Geschichtsvereins, unsere Denkschrift zur Situation des Städtischen Museums genannt und zu den Hintergründen, dass das Museum seit 14 Jahren zum größten Teil geschlossen ist und eine Wiedereröffnung in weiter Ferne liegt.

„Schwarzbuch“ steht laut gängiger Definition für eine Dokumentation von Missmanagement und Versagen.

Im Jahre 2008 traten im Museumsareal am Ritterplan massive Schäden zutage: Schwamm im Mauerwerk, Fäulnis und Holzwurm im Gebälk – einzelne Teile waren regelrecht einsturzgefährdet. Auf der Grundlage einer Machbarkeitsstudie wurde daraufhin bis 2012 die ehemalige Posthalterei denkmalgerecht saniert. Und dann war erstmal Schluss. Anstatt die notwendige und nach dem Denkmalschutzgesetz auch vorgeschriebene Sanierung der übrigen Gebäude, insbesondere der Remise und des Hardenberger Hofes, voranzubringen, wurde auf Betreiben der Verwaltungsspitze zunächst jahrelang ein anderer Standort gesucht (u.a. die ehemalige Voigtschule an der Bürgerstraße).

Wiederholt hat die Stadt Fördermittel des Landes im sechsstelligen Bereich verfallen lassen und die Möglichkeit ausgeschlagen, dass die Sanierung des Areals am Ritterplan zu zwei Dritteln aus öffentlichen Mitteln gefördert wird. Stattdessen haben die Verwaltungsspitze und die SPD-Fraktion im Rat sich seit 2014 verstärkt mit dem Projekt des „Kunstquartiers“ von Verleger Gerhard Steidl identifiziert und Zusagen im Hinblick auf die künftigen Betriebskosten gemacht, nämlich 360.000 Euro Jahr für Jahr.

Dafür sollten das Städtische Museum mit 105.000 Euro, das Stadtarchiv mit 25.000 Euro und die Galerie im Alten Rathaus mit 50.000 Euro, zusammen also jährlich um 180.000 Euro geschröpft werden. Und weil die Arbeitsfähigkeit des Museums auf diese Weise ohnehin massiv beschränkt wäre, unterbreitete die damalige Kulturdezernentin gleich noch den Vorschlag, die Ausstellungsflächen und das Aufsichtspersonal „zurückzufahren“, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt.

Nicht zuletzt wegen des massiven öffentlichen Protests aus der Zivilgesellschaft, an dessen Organisation sich der Geschichtsverein mit seinen rund 500 Mitgliedern beteiligt hat, konnte dies abgewendet werden. Hier zeigt sich aber, welchen geringen Stellenwert die Verwaltungsspitze und über Jahre hinweg die Göttinger SPD einer fast 130 Jahre alten Kultureinrichtung wie dem Städtischen Museum zuerkannt haben.

Bis zu der durch die Baumängel erforderlich gewordenen Schließung sind jedes Jahr rund 20.000 Besucher ins Museum gekommen, darunter etwa 6.500 Kinder. Seit 14 Jahren können inzwischen mehr als 90.000 Göttinger Schul- und Kita-Kinder das Museum nicht mehr als Erlebnis- und Bildungsort kennen lernen. Es wachsen Generationen von kleinen Göttingern heran, die „ihr“ Museum nicht kennen. Damit bleibt ihnen auch ein wesentlicher Zugang zur Geschichte ihrer Stadt verschlossen. Für viele Kinder ist der Museumsbesuch mit der Schule oder die Teilnahme an einem Ferienangebot der erste
und oft einzige Kontakt mit einem Museum, mit Originalobjekten, mit Ausstellungen.

Auch bei der Erfüllung gesamtgesellschaftlicher Aufgabe wie der Integration von Migranten und Flüchtlingen können Museen einen entscheidenden Beitrag leisten. Dies wird von ihnen auch zu Recht verstärkt eingefordert – in Göttingen hat die Kulturpolitik der Ratsmehrheit und der Verwaltungsspitze dies jahrelang verhindert.

Dabei ist das, was das Museum hätte leisten können, im eigentlichen Sinne überhaupt nicht „museal“: Jugend im Nationalsozialismus, Leben in einer Diktatur, Erziehung zum Krieg, Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit, Volkssouveränität und Frauenrechte, Krieg und Revolution – das sind nur einige der Themen, die das Städtische Museum anhand von Originalzeugnissen erschließen und didaktisch aufbereitet vermitteln kann – wenn „die Stadt, die Wissen schafft“ sich ernsthaft bemühen würde, endlich die äußeren Bedingungen dafür zu schaffen.

Zusammen mit dem Stadtarchiv ist das städtische Museum der wichtigste außerschulische Lernort zur Vermittlung einer historisch fundierten politischen Bildung anhand von Originalzeugnissen!

Anlässlich der Verlegung von zehn „Stolpersteinen“ in Göttingen im März 2015 sprach Ralph Ibson, der als Nachkomme der Familie Katz eigens aus Washington angereist war, die über Deutschland hinaus bedeutende Judaica-Sammlung des Städtischen Museums an. Er plädierte entschieden dafür, diese einzigarten Zeugnisse einer Kultur, die – auch in Göttingen – systematisch zerstört und vernichtet worden ist, umgehend der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.

Daraus erwächst den nachgeborenen Mandats- und Entscheidungsträgern eine Verpflichtung. Die Stadt und ihre Verwaltungsspitze und Mandatsträger haben eine erhebliche Bringschuld, die wir als Teil der Göttinger Zivilgesellschaft hiermit einfordern.

Prof. Dr. Peter Aufgebauer
– Vorsitzender des Geschichtsvereins
für Göttingen und Umgebung –

Die verhinderte Sanierung des Städtischen Museums Göttingen. Ein Schwarzbuch (PDF-Download)